Wartet nicht auf kältere Zeiten!

In den letzten beiden Jahrzehnten herrschte in den Naturwissenschaften nahezu uneingeschränkter Konsens zu den Kernaussagen den Klimawandel betreffend. Dieser Konsens wird im fünften Bewertungsbericht des Zwischenstaatlichen Expertengremiums für Klimaänderungen (IPCC) zum Ausdruck gebracht: Die Erderwärmung ist real, es ist höchstwahrscheinlich, dass ihre Hauptursache in menschlicher Aktivität liegt und dass sie schon in nächster Zukunft starke negative Auswirkungen auf Mensch und Umwelt haben wird. Den Temperaturanstieg auf unter 2° Celsius zu senken ist unvermeidbar, sollen die schlimmsten Katastrophenszenarios verhindert werden. Außerdem stehen uns nur mehr zwölf Jahre zur Verfügung, um jene Schritte zu unternehmen, die notwendig sind, um die Treibhausgasemissionen drastisch zu verringern.

Obwohl wesentliche Erkenntnisse über den – durch Gasemissionen infolge menschlicher Aktivität verursachten – Treibhauseffekt vorliegen, die weiten Teilen der Bevölkerung auch relativ gut bekannt sind, gibt es andere wichtige Aspekte, über die ein breites Publikum wenig weiß. Ich möchte hier auf zwei wichtige hinweisen.

Irreversible Treibhausgasemissionen

Wenn wir die Emissionen verringern oder sie gar ganz abstellen, kann es uns gelingen den Temperaturanstieg zu verlangsamen oder ihn sogar aufzuhalten; aber alle Veränderungen, die wir letztlich herbeiführen, werden für lange Zeit irreversibel sein. Sind die Treibhausgase einmal in die Atmosphäre gelangt, verfügen wir über keine bekannte Methode, sie auf effiziente Art und Weise zu beseitigen; weder gibt es eine natürliche Möglichkeit noch kann dies unter Einsatz der heute bekannten technischen Hilfsmittel noch mit jenen, die in der nächsten Zukunft entwickelt werden, gelingen.

Selbstverstärkender Temperaturanstieg

Der Temperaturanstieg kann sich ab einem bestimmten Punkt auf unkontrollierbare Weise selbst verstärken; dies deshalb, weil es unter den Folgen des globalen Temperaturanstiegs einige gibt, die die Temperatur noch weiter steigen lassen. Der Gehalt an Wasserdampf (einem natürlichen Treibhausgas) in der Atmosphäre nimmt zusammen mit der Temperatur zu. Das Schmelzen des Eises in den Polargebieten führt zu einer höheren Absorption an Sonnenlicht und in der Folge zu mehr Erwärmung. Das Auftauen des Permafrosts setzt große Mengen an Methan (einem weiteren Treibhausgas) frei. Das Ausmaß und die Ausbreitung von Waldbränden aufgrund höherer Temperaturen tragen durch die Verbrennungsprozesse zu Treibhausgasen bei und zerstören die Wälder, die CO2 absorbieren. Ein derart sich selbst verstärkendes Katastrophenszenario, würde – ungeachtet, ob wir es schaffen, die menschengemachten Emissionen zu stoppen – den Temperaturanstieg nicht verhindern, selbst wenn die Expert*innen des IPPC proklamieren, dass dies mit seiner Absenkung des Temperaturanstiegs auf unter 2° Celsius erreicht werden könne.

Politische statt wissenschaftlicher Herausforderung

Alles, was die Naturwissenschaften sagen mussten, ist bereits gesagt. Sie werden uns weiterhin neue Dinge sagen und als Werkzeug erhalten bleiben, die wir sicher brauchen werden, um die auf uns zukommenden Herausforderungen zu bewältigen. Zum aktuellen Zeitpunkt ist unsere Herausforderung aber eine ausschließlich politische.

Die Naturwissenschaften haben genug Material zur Verfügung gestellt, das die Politik schon längst zum Handeln veranlasst haben müsste. Was heute den Klimawandel betreffend als wissenschaftlicher Konsens gilt, wurde von dem Physiker Svante Arrhenius Ende des 19. Jahrhunderts als wissenschaftlich begründete Hypothese aufgestellt, obwohl zum damaligen Zeitpunkt die negativen Folgen eines Temperaturanstiegs noch nicht vorhersehbar waren. Im Laufe des 20. Jahrhunderts gewann seine Hypothese mit den Fortschritten, die die Wissenschaft machte, an Plausibilität. Sie überdauerte alle zwischenzeitlich auftauchenden Kontroversen, die ihr den Weg verstellten, manche von ihnen aus wissenschaftlicher Sicht berechtigt, die meisten allerdings falsch und von den Interessen der großen Energiekonzerne geleitet. Bereits 1988 brachte der Physiker James Hansen seine ersten berüchtigten Warnungen über die schädlichen Auswirkungen der Erderwärmung vor.

Die Vorhersagen treten ein

Aktuell sind wir mit den ersten negativen Auswirkungen der bereits vor Jahrzehnten vorhergesagten Erderwärmung konfrontiert: Massenauswanderungen aus Zentralasien und Zentralamerika aufgrund von Dürren und anderen Veränderungen des Klimas oder die noch immer nicht eingedämmten Waldbrände in Australien sind deutliche Beispiele. Es ist wichtig, dass diejenigen, die noch immer Zweifel an den wissenschaftlichen Vorhersagen haben, Folgendes erkennen: Vergleichen wir die Vorhersagen der Wissenschaft mit dem, was sich bis 2020 tatsächlich ereignet hat, können wir feststellen, dass diese Prognosen äußerst genau waren. Aber selbst wenn die Prognosen wahr werden und eine kritische Situation eingetreten ist, sehen wir aufseiten der herrschenden Politik und Wirtschaft nur Tonnen an Propaganda, in denen sie ihre guten Absichten bekunden, aber kein konkretes Handeln. Die große Enttäuschung der jüngsten COP25-Konferenz ist der letzte Beweis dafür.

Markt vor Klima

Die Erderwärmung ist das beste Beispiel dafür, wie die kapitalistische Ökonomie auf drastische Art und Weise dabei versagt, sich den Herausforderungen unserer Zeit zu stellen. Wir wissen, dass es viele weitere Beispiele dafür gibt, etwa die Zunahme von gesellschaftlicher Ungleichheit, die Langlebigkeit der strukturellen Armut oder die rassistische und sexistische Diskriminierung. Während diese Probleme aber von den Sozialwissenschaften behandelt werden und dort (oftmals nur vordergründig) kritisiert werden, ist die Erderwärmung unbestreitbar ein Phänomen, das die Naturwissenschaften angeht.

Wir sollten dieses Faktum als Speerspitze gegen die entfesselte Marktökonomie einsetzen, die von sich weiterhin behauptet, sie sei überlegen darin, das Schicksal der Menschheit zu lenken. Das bedeutet allerdings nicht, dass wir alle anderen sozialen Probleme als zweitrangig sehen. Eine Bewältigung des Klimawandels, die den Großteil der Gesellschaft zurücklässt, wäre nicht nur höchst ungerecht. Sie wäre auch unmöglich, da sie die politische Unterstützung und Mobilisierung derjenigen braucht, die am meisten unter den Folgen jenes Wirtschaftsmodells leiden, das wir ändern müssen.

Was soll die Linke tun?

Angesichts der Dimension der Herausforderung wissen wir, dass ein vollständiger und schneller Wandel vonnöten ist. Aber diese Forderung auf den Straßen zu rufen, reicht nicht aus, die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse erlauben keine abrupte Kehrtwende in der nötigen Kurzfristigkeit. Was also tun? Natürlich hat niemand eine Antwort darauf. Aber wir können vielleicht auf ein paar Dinge hinweisen, die wir nicht tun sollten. Aufzugeben angesichts dessen, was ein vor uns liegendes tödliches Schicksal ist, ist aus Prinzip keine Option für uns. Auch mag die Rolle des Außenseiters, der die harte Wirklichkeit beklagt und darauf wartet, dass die Dinge nur noch schlimmer werden, so dass sich die Menschen uns anschließen, verlockend klingen. Aber meines Erachtens ist dies genauso falsch. In einer gänzlich verzweifelten Situation sind die Menschen eher versucht, die Sirenenrufe der extremen Rechten mit ihren eingängigen Slogans zu hören als die bittere Wahrheit, zumindest bis es zu spät ist.

Österreich und Spanien: zwei verschiedenen Ansätze der Klimapolitik

Unsere linken Prinzipien über Bord zu werfen, nur um ein Programm mit scheinbar grünen Maßnahmen zu unterstützen, das aber bloß das herrschende Wirtschaftsmodell weiter stärkt, mag angesichts des Notstands nicht nach der allerschlechtesten Option klingen. Dies scheint der Weg zu sein, den die österreichischen Grünen mit ihrer Regierungskoalition eingeschlagen haben. Ich möchte jedoch diese Möglichkeit mit jener der gerade in Spanien zwischen der Sozialistischen Partei und der alternativen linken Partei von Unidas Podemos eingegangenen Koalition vergleichen.

In beiden Regierungsprogrammen kommt den Maßnahmen grüner Politik offenbar ein ähnlich starkes Gewicht zu. Die österreichische Regierung wird allerdings den Weg der Steuersenkungen und »Marktanreize« für die Unternehmen, die ökologische Praktiken umsetzen, beschreiten; das bedeutet mehr Reichtum und Macht für jene, die dafür verantwortlich sind, dass wir uns in der gegenwärtigen Situation befinden. Im letzten Jahrzehnt ist die Zahl der Milliardäre in Europa ebenso wie deren Reichtum in einem geradezu überbordenden Ausmaß gestiegen, während die übrige Gesellschaft mit einer Krise kämpfte. Sind es wirklich noch mehr »Anreize«, die sie brauchen, um grün zu werden?

Die Regierung in Spanien hat sich im Gegensatz dazu für eine (zugegebenermaßen geringe) Steueranhebung für die Spitzeneinkommen entschieden, um mehr öffentliche Ressourcen für die Umsetzung der notwendigen Politik, auch jener gegen den Klimawandel, zur Verfügung zu haben. Das geht in Richtung Schwächung der Macht der Großkonzerne, um sie in die Hände von demokratisch gewählten Einrichtungen zu legen. Können Sie erraten, welche Richtung eingeschlagen werden sollte, wenn wir erwarten, eines Tages die Befugnis zu bekommen, die wirklich alternativen Politiken umzusetzen, die es eher früher als später braucht?